Von Prof. Dr. Gert-Jan Hospers
„Erst die Fremde lehrt uns, was wir an der Heimat besitzen“, hat der deutsche Schriftsteller Theodor Fontane (1819-1898) einmal gesagt. Er ist einer von vielen, die versucht haben, den Begriff „Heimat“, einen typisch deutschen Begriff, für den es in anderen Sprachen keine wirkliche Entsprechung gibt, zu ergründen. Während es im Niederländischen das verwandte Wort „heimwee“ (das schmerzliche Fehlen von Heimat) gibt, ist der Begriff „Heimat“ im Deutschen viel tiefgründiger.
Traditionell bezieht sich der Begriff Heimat auf die emotionale Beziehung zwischen Mensch und Raum. In der Regel sprechen die Deutschen dann über den Ort oder die Gruppe, mit der sie sich am meisten identifizieren: ihre Herkunftsregion, eine charakteristische Landschaft oder ihnen nahestehende Menschen. Für viele ist dies der Ort ihrer Kindheit, es kann aber auch ihr aktueller Wohnort oder ihre Familie, Verwandten oder Freunde sein. In der heutigen Zeit betrachten manche sogar eine Kombination aus der physischen und der Online-Welt oder ihr Smartphone als Heimat. So haben mir deutsche Studierende einmal anvertraut: „Heimat ist dort, wo sich mein Wlan automatisch verbindet“ und „Heimat? Das ist mein Handy, denn damit bin ich mit allen, die ich liebe, in Kontakt“.
Im Jahr 2021 erforschte Professor Klaus Boehnke von der Jacobs University Bremen im Auftrag der Bundesregierung die Heimatverbundenheit der Deutschen. Dabei verfolgte er einen breiten Ansatz: Neben den räumlichen Aspekten von Heimat, wie einem Ort oder einer Landschaft, untersuchte er auch soziale Identifikation, Verwurzelung und Geborgenheit. Mit seinem Team befragte Boehnke rund 4.500 zufällig ausgewählte Deutsche in einer Telefonumfrage zu ihrer Heimatverbundenheit. Was kam dabei heraus? In Regionen wie dem Saarland, Thüringen und Bayern geben die Bewohner an, sich am stärksten mit dem Begriff Heimat verbunden zu fühlen, in Nordrhein-Westfalen, Bremen und Berlin am wenigsten. Ein weiteres Ergebnis ist, dass die Heimatverbundenheit in ländlichen Gebieten stärker ausgeprägt ist als in dichtbesiedelten urbanen Regionen. Menschen mit einem starken Heimatgefühl sind im Allgemeinen glücklicher, optimistischer und zufriedener mit ihrem Leben. Interessanterweise scheint diese Korrelation bei Menschen mit Migrationshintergrund stärker zu sein. Die Forscher sehen Heimatverbundenheit daher als Indikator für eine gelungene Integration und stellen fest, dass es sich dabei politisch nicht um ein „rechtes“ Konzept handelt. Menschen, die sich stark mit ihrer Heimat verbunden fühlen, haben sogar mehr Vertrauen in die Demokratie und die bestehenden Institutionen als Menschen mit weniger Heimatverbundenheit.
Kurz gesagt: Heimat ist dort, wo man sich am geborgensten fühlt. Und für dieses Gefühl braucht man sich nicht zu schämen. 2010 lehnte Bastian Schweinsteiger, damals Spitzenspieler des FC Bayern München, allerlei Angebote von ausländischen Vereinen ab. Dass er bei seinem Verein bleiben wollte, habe mit seinem Heimatgefühl zu tun, sagte er. Schweinsteiger: „Ich kenne die Angestellten und weiß, wo die Toiletten sind“. Heimat ist ein tiefgründiger, umfassender und komplexer Begriff, aber in der Praxis kann es um einfache Dinge gehen.
Aus dem Niederländischen von Lisa Olberding.